Was uns Ortsnamen verraten

Verteilung der Flurnamen in der Schweiz, die das Element «Matte» oder «Wiese» enthalten (Quelle: Laura Nigg, ortsnamen.ch).

Wie sind Ortsnamen mit «Wiese» und mit «Matte» über die Schweiz verteilt? Wie lässt sich diese räumliche Verteilung erklären? Im Mastermodul «Einführung in die Onomastik*» haben sich Germanistikstudierende unter anderem mit solchen Fragen befasst. Die Kartierung hat ihnen geholfen, Muster zu entdecken und Antworten zu finden.

* Onomastik oder Namenkunde: Wissenschaft von den Eigennamen, ihrer Herkunft, Geschichte, Verbreitung (Quelle: duden.de).

Für zwei Sitzungen haben sich die Studierenden des Moduls «Einführung in die Onomastik» aufgeteilt: Die eine Hälfte erforschte Orts-, die andere Familiennamen. «Die Ortsnamen-Gruppe hat sich zuerst mit ortsnamen.ch, dem Portal der Schweizer Ortsnamenforschung, vertraut gemacht», erklärt Linda Steiner, die das Modul «Einführung in die Onomastik» zusammen mit Simone Berchtold leitet und die Ortsnamen-Projekte betreut hat. Das Portal listet zusätzliche Informationen zu Ortsnamen auf wie eine Beschreibung des Ortes, die erste bekannte Nennung sowie die historischen Quellen, die Herkunft und die Deutung des Namens etc. Die Daten stammen vorwiegend aus kantonalen Namenbüchern, doch nicht jeder Ortsname enthält die gleiche Fülle an Informationen. «Die Studierenden hatten den Auftrag, sich eine Forschungsfrage zu den Ortsnamen auszudenken und die passende Suchabfrage auf ortsnamen.ch durchzuführen», erzählt Linda Steiner. Mit den Daten aus der Suchabfrage kamen die Studierenden in die GIS-Werkstatt.

Kartierung der Ortsnamen
In der GIS-Werkstatt wurden die Ortsnamendaten ins Format GeoJSON konvertiert. Danach haben die Studierenden ihre Daten ins QGIS, eine GIS-Software, importiert und als Punkte auf einer Karte dargestellt. «Bereits die räumliche Verteilung kann wertvolle Hinweise liefern», erklärt Linda Steiner und verweist auf das Beispiel mit den Flurnamen «Wiese» und «Matte». Aus der Karte können sich aber auch neue Fragen ergeben. Um ihre Forschungsfrage zu beantworten, haben die Studierenden je nach Thema zusätzliche räumliche Variablen miteinbezogen, zum Beispiel die Höhe über Meer, die Landoberfläche, die Hanglage, die Kantonsgrenzen oder die Sprache. Analysiert wurden die Daten in QGIS. Nachfolgend werden zwei der Projekte vorgestellt.

Projekt 1: «Matte» oder «Wiese»?
Laura Nigg wollte wissen, wie die räumliche Verteilung der Flurnamen Matte und Wiese in der Schweiz aussieht. «Dafür habe ich möglichst viele Formen der Flurnamen berücksichtigt, zum Beispiel die verschiedenen Flexionen wie Matt, Matte, Matten, Diminutivformen wie Mätteli und sowohl die Schreibweisen Wiese als auch Wise», sagt Laura. Gefunden hat sie knapp 30’000 Flurnamen in der Deutschschweiz, die das Element «Matte» in irgendeiner Form enthalten, und etwas über 20’000 mit dem Element «Wiese».

Abbildung 1: Verteilung der Flurnamen in der Schweiz, die das Element «Matte» oder «Wiese» enthalten (Quelle: Laura Nigg, ortsnamen.ch).

Nach dem Kartieren ist ihr aufgefallen, dass die Flurnamenelemente Matte und Wiese räumlich relativ klar voneinander getrennt sind: «Zu beobachten ist eine von Norden nach Süden verlaufende Grenze. Im Nordwesten, der Zentralschweiz und im Wallis gibt es die meisten Treffer für Matte, sie sind jedoch in der ganzen Deutschschweiz verbreitet. Die Wiese-Namen sind hingegen sehr dicht im Nordosten der Schweiz vertreten und in deutlich geringerer Dichte auch in der restlichen Deutschschweiz zu finden.»

Abbildung 2: Verteilung der «Matte»- (links) und «Wiese»-Flurnamen (rechts) in der Schweiz (Quelle: Laura Nigg, ortsnamen.ch).

Die Verteilung lässt sich nur zum Teil über die Bedeutung der Wörter erklären. Gemäss Forschungsliteratur wurde eine Wiese, die gemäht wird, ursprünglich als «Matte» bezeichnet, während «Wiese» allgemeiner oder für ungemähtes Weideland verwendet wurde. «Schon sehr früh kam es aber zu Überschneidungen im Geltungsbereich», so Laura, «wobei sich regional nur eines der beiden Wörter durchgesetzt hat». Sowohl «Matte» als auch «Wiese» zeugen von einer bestehenden oder ehemaligen Wiese.

«Die relativ klare Trennung zwischen Matte und Wiese, die auch als West-Ost-Schranke bezeichnet wird, verdeutlicht vielmehr die Grenze zweier entgegengesetzter sprachlicher Einflussbereiche – dem Oberrheinalemannischen und dem Schwäbischen», erklärt Laura, und ergänzt, «sie findet nördlich der Schweiz in der Schwarzwaldschranke ihre Fortsetzung.» Die Vermischung der beiden Flurnamen entlang der Schranke lässt sich u.a. auf eine Änderung in der Bewirtschaftung oder auf Migrationsbewegungen zurückführen.

Projekt 2: -bächli, -gräbli, -rüüsli oder -töbeli?

Simon Graf ging der Frage nach, wie sich die Namen von kleinen Fliessgewässern in der deutschsprachigen Schweiz unterscheiden. «Bei den Namen kleiner Fliessgewässer handelt es sich um Komposita, bestehend aus einem Bestimmungswort und einem Grundwort. Sie heissen beispielsweise Mülibach, Geisslibach, Krebsawässerli oder Mörderruus», sagt Simon. Er ist den Grundwörtern -bach/-bächli, -grabe(n)/-gräbli, -ruus/-rüüsli/-runs, -tobel/-töbeli, -wasser und –ach nachgegangen. Dabei hat er unter anderem herausgefunden, dass Fliessgewässer, die auf -graben/-gräbli enden, sowohl in der Ost- als auch in der Zentralschweiz vorkommen, sich jedoch in der Natur deutlich unterscheiden. «Laut Thurgauer Namenbuch geht das Wort Grabe auf das althochdeutsche Verb graban zurück. Es handelt sich hierbei in der Regel um künstlich erstellte Vertiefungen», erklärt Simon, und ergänzt: «Im Napfgebiet und in der weiteren Zentralschweiz befinden sich die Fliessgewässer auf -graben/-gräbli hingegen ausschliesslich in Hanglagen: Es sind natürliche Gewässer, die von Hügeln oder Bergen herabfliessen und sich über die Zeit ihre eigenen Rinnen oder Täler gegraben haben.»

Abbildung 3: Verteilung der Fliessgewässer mit dem Grundwort «Graben» in der Zentral- und Ostschweiz (grüne Punkte), im Hintergrund sind die Hanglagen ab 18% Neigung dunkelrot eingefärbt (Quelle: Simon Graf, ortsnamen.ch).

Laut Simon tragen solche natürlichen Vertiefungen in der Ostschweiz jedoch Namen, die auf -tobel/-töbeli bzw. -ruus/-runs/-rüüsli enden.

Abbildung 4: Verteilung der Fliessgewässer mit den Grundwörtern «Grabe» (grün), «Tobel» (gelb) und «Ruus» (hellblau) als Punkte, im Hintergrund sind die Hanglagen ab 18% Neigung dunkelviolett eingefärbt (Quelle: Simon Graf, ortsnamen.ch).

Simon hat aber auch feststellen müssen, dass sich die Datenlage bezüglich kleiner Fliessgewässer je nach Kanton stark unterscheidet: «Für den Kanton Aargau zum Beispiel sind auf ortsnamen.ch tatsächlich kaum Daten zu Fliessgewässern vorhanden.» Der Kanton erscheint deshalb als weisser Fleck auf Simons Karte.

Referenzen

  • Boesch, Bruno (1945): «Matte» und «Wiese» in den alemannischen Urkunden des 13. Jahrhunderts. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 42/01, 49–58.
  • Hotzenköcherle, Rudolf (1984): Die Sprachlandschaften der deutschen Schweiz. Aarau u.a.: Sauerländer (= Sprachlandschaft 1).
  • Müller, Ernst Erhard (1960): Wortgeschichte und Sprachgegensatz im Alemannischen. Bern/München: Francke Verlag (= Bibliotheca Germanica 8).
  • Nyffenegger, Eugen/Graf, Martin H. (2003–2007): Thurgauer Namenbuch. Die Flurnamen des Kantons Thurgau. Frauenfeld u.a.: Verlag Huber.
  • ortsnamen.ch: https://ortsnamen.ch/de/
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